die Firma C. Lorenz entwickelte zu Beginn der
dreißiger Jahre ein Gerät für ein Verfahren, mit dem Flugzeuge blind, also
während der Nacht, bei Nebel und ohne Bodensicht, landen konnten, bei diesem
System flog das Flugzeug ein Funkfeuer (auch Funkbake genannt) an, die
Funkbake strahlte zwei gerichtete Funkstrahlen bis zu einer Reichweite von 50
Kilometern aus, im Funkempfänger der anfliegenden Maschine waren Morsepunkte
zu hören, wenn sie auf dem linken gerichteten Strahl flog, Morsestriche auf
dem rechten, in der Mitte überlappten sich die beiden Funkstrahlen und
bildeten einen- Dauerton, flog die landende Maschine auf diesem abwärts, kam
sie genau beim Sender und damit auf dem Flugplatz an, so sah auch das
Grundprinzip des Blindlandeverfahrens, auch "Lorenz-Verfahren" genannt,
aus, es wurde damals auf vielen zivilen Verkehrsflugplätzen in verschiedenen
Ländern als Landehilfe benutzt
im Jahre 1933
befasste sich der deutsche Experte für Funkstrahlen, Dr.
Hans Plendl, damit, das Lorenz-Blindlandeverfahren auch für den Abwurf
von Bomben zu verwenden, innerhalb von fünf Jahren entwickelte er auf dieser
Grundlage ein Bombenabwurfsystem, dessen Hauptbestandteil das sogenannte
X-Gerät war, die Bezeichnung basierte auf dem Umstand, daß verschiedene
Funkstrahlen über dem Ziel ein unsichtbares X bildeten, unter diesen
Richtfunkstrahlen befand sich ein Anflugstrahl (auch Marschstrahl genannt),
ausgestrahlt von einem Richtstrahlsender, der in diesem Fall hinter dem
anfliegenden Flugzeug stand, dieser Strahl führte genau zum Angriffsziel,
hinzu kamen zwei andere Funkstrahlen, die den Anflugstrahl kreuzten und
ebenfalls auf Frequenzen zwischen 66 und 74 Megahertz arbeiteten - diesmal
aber nicht für die Durchführung einer Blindlandung, sondern für den
Bombenabwurf, in der Praxis sah Plendls
Bombenabwurfverfahren folgendermaßen aus: Von einem Sender wurde ein
Lorenz-Funkstrahl ("Punkte-Striche-Dauerton") ausgestrahlt, der direkt
über das zu bombardierende Ziel gerichtet war, auf diesem Marschstrahl flogen
die Bomber an, befand sich die anfliegende Kampfmaschine etwa 50 Kilometer (es
kamen auch andere vorher vereinbarte Entfernungen zur Anwendung) vor dem
Angriffsobjekt, dann waren über den an Bord befindlichen Empfänger in den
FT-Hauben (Kopfhauben mit eingebauten Kopfhörern) der Flieger die Vorsignale
eines Querstrahls in Form von Morsestrichen zu hören, der an Bord befindliche
Funker setzte nun die sogenannte X-Uhr (einen Bombenabwurfautomaten) durch
Tastendruck in Gang, die drei Zeiger auf der Hauptskala dieser Uhr waren
schwarz, grün und rot angestrichen, nach dem Tastendruck durch den Funker
bewegten sich nun der schwarze und der grüne Zeiger über die Skala
etwa 20 Kilometer (auch andere Entfernungen
waren möglich) vor dem Abwurfpunkt ertönte das sogenannte Hauptsignal, das
wieder aus Morsestrichen bestand, der Bordfunker drückte jetzt noch mal auf
die Taste an der Uhr der schwarze und der grüne Zeiger kamen dadurch zum
Stehen, jetzt aber bewegte sich der rote Zeiger im Sekundentakt über die Skala
auf den stehenden schwarzen Zeiger zu, erreichte er ihn, dann wurde der
Stromkreis geschlossen, der den Bombenauslösungsmechanismus in Gang setzte,
die Bomben fielen
das System war bereits im Jahre 1935 einsatzfähig: also vier Jahre vor dem Beginn
des II. Weltkriegs, danach wurde es noch weiter verbessert, mit diesm
Verfahren konnte bis zu einer Eindringtiefe von 400 Kilometern in feindliches
Gebiet gearbeitet werden
es wurde dann auch bei der neu aufgestellten
deutschen Luftwaffe eingeführt - allerdings nur in kleinerem Umfang bei einer
Spezialeinheit, dem ersten Zielfinde- und Zielmarkierungsverband sämtlicher
Luftstreitkräfte der Welt: der Luftnachrichtenabteilung 100, die später im
Kampfgruppe 100 (KGr 100) umbenannt wurde, der erste Einsatz des X-Geräts
erfolgte in der Nacht zum 4. September 1939 zur
Bombardierung eines militärischen Ziels in der polnischen Stadt Palmiry,
weitere Einsätze der KGr 100 folgten, darunter auch der Bombenangriff auf das
Zentrum der englischen Rüstungsindustrie in Coventry (14,/15. November 1940)
britische Funkexperten kamen schließlich diesem
deutschen Geheimnis auf die Spur und bekämpften es mit immer wirksamer
werdenden Störmaßnahmen, dadurch, aber auch durch andere negative Umstände auf
deutscher Seite, verlor das an und für sich sehr wirksame, aber auch
komplizierte automatische Bombenabwurfverfahren immer mehr an Bedeutung
die deutsche Elektrofirma Telefunken
entwickelte ein zweites Verfahren zum "blinden" Abwurf von Bomben, als
das X-Gerät bereits vorhanden war, "Knickebein" genannt, sein
Arbeitsprinzip war gegenüber dem des X-Geräts vereinfacht, man benutzte zwei
von Funkfeuern gesendete Strahlen, auf einem flogen die Flugzeuge an, der
Bombenabwurf erfolgte, wenn ein zweiter Querfunkstrahl über dem Ziel den
Anflugstrahl kreuzte, allerdings geschah dies nicht automatisch, wenn die
Morsezeichen des Querfunkstrahls in den FT-Hauben der Besatzungen zu hören
war, löste der Beobachter (auch als Bombenschütze tätig) die Bomben aus
gegenüber dem schwieriger zu bedienenden
X-Gerät konnten die Bomberbesatzungen (vor allem Piloten und Bordfunker, die
im Blindflug geschult worden waren) ohne umfangreiche weitere zeitraubende
Ausbildung nach dem Verfahren fliegen
der zweite Vorteil waren die serienmäßig in
fast allen Bombern eingebauten Empfangsgeräte für den normalen Blindflug, mit
diesen auf Frequenzen von 30, 31,5 und 33,3 Megahertz arbeitenden, von der
Firma Lorenz stammenden Blindflugempfängern, konnte ohne weitere Zusatzgeräte
das Knickebein-Verfahren geflogen werden
die Reichweite des Systems war um so größer, je
höher die Flugzeuge flogen, in einer Höhe von etwa 6000 Metern konnten mit den
Lorenz-Blindflugempfängern die Funksignale beispielsweise bis zu einer
Entfernung von 1450 Kilometern empfangen werden, die Funkstrahlen passten sich
aber der Erdkrümmung nicht an, deshalb war der Empfang auf die Gipfelhöhe der
Flugzeuge beschränkt
ein weiterer Vorteil beim Knickebein-Verfahren
war die enge Bündelung und die damit verbundene genaue Justierung des
Anflugstrahls (Leitstrahl oder Marschstrahl), zum Beispiel wich der auf London
gerichtete Funkstrahl nicht mehr als einen Kilometer vom Zielpunkt, der mitten
in der Stadt lag, ab, mit diesem System war es beispielsweise möglich, eine
aus der Luft nicht zu sehende quadratische Angriffsfläche mit Seitenlängen von
nur 300 Metern durch Leuchtbomber zu markieren
für den praktischen Einsatz des
Knickebein-Programms baute die Luftnachrichtentruppe drei Spezialsender auf:
Bei Kleve, bei Strolberg in Schleswig-Holstein und bei Lörrach in der Nähe der
französisch-schweizerischen Grenze
Besatzungen der III. Gruppe des
Kampfgeschwaders 26 und der Kampfgruppe 100 bekamen als erste den Auftrag, das
Knickebein-Verfahren praktisch zu erproben, ihnen folgte später die Masse der
im England-Einsatz stehenden deutschen Bomber, für die deutschen
Bombenflugzeuge in der Schlacht um England (Sommer/Herbst 1940) wurden noch
neun weitere Knickebein-Sender an den Küsten Frankreichs, Hollands und
Norwegens errichtet
die deutschen Bomberbesatzungen waren anfangs
von dem Knickebein-Verfahren begeistert, weil es wirklich eine echte
Navigationshilfe darstellte, ein Bomberpilot berichtete von der Nacht des
15. Novembers 1940 beim Angriff auf London: "Die Sache klappt sehr
gut." Aber dann auch: "Mir scheint, daß die (gegnerische) Flak heute
noch besser schießt als je zuvor. Ob die unsere neue (Knickebein-)Technik
bereits erkannt und die ganze Abwehr auf diese Leitstrahlen angesetzt wurde?",
die englischen Experten hatten das streng gehütete deutsche Geheimnis "Knickebein"
nach und nach tatsächlich lösen können, es war ein langer, schwieriger und mit
vielen Rückschlägen gespickter Weg gewesen
die Engländer leiteten auch Maßnahmen zur
Störung und Ausschaltung des Knickebein-Verfahrens ein, beispielsweise
lauerten Nachtjäger der Royal Air Force im Bereich der Leitstrahlen, um die
deutschen Bomber abzuschießen, aber die deutschen Bomberbesatzungen erkannten
das sehr schnell, sie griffen mit neuen Taktiken an und benutzten die
Leitstrahlen nur im letzten Augenblick, dicht vor dem Ziel oder aber überhaupt
nicht
das Knickebein-Verfahren hatte seinen Höhepunkt
während der Luftschlacht um England, es wurde aber auch weiterhin benutzt,
zuletzt bei der letzten deutschen Luftwaffen-Großoffensive gegen England im Januar 1944